Pastor Charles Taze Russell

GESCHICHTE

 

Die Kirchengeschichte in den Jahren 1517 bis 1799

 

Die Reformation und Martin Luther

 

Die berauschenden Ausschweifungen der italienischen Renaissance waren der in Nordeuropa entstandenen nationalen konservativen Kultur völlig fremd. In Deutschland war der Adel Wittenbergs noch berührt vom mittelalterlichen Stolz der Sammlung von Reliquien der Heiligen. Dementsprechend wurden Reliquien mit silbernen und goldenen Kunstwerk verziert und, um das Geheimnisvolle zu erhalten, wurden sie nur am großen Fest der „Allerheiligen“ ausgestellt. In der Schlosskirche schauten Schnitzereien der Jungfrau Maria und der Heiligen von ihren Plätzen zustimmend herunter. Es wurde gesagt, dass sie als himmlische Fürsprecher immer bereit stünden, wenn sie in Gebeten angefleht wurden und wenn an ihre Ehre durch Anzünden einer Kerze gedacht wurde. 

 

Am Mittag des 31. Oktober 1517, dem Tag vor „Allerheiligen“, machte sich ein Augustinermönch, der an der örtlichen Universität als Theologieprofessor lehrte, auf den Weg zur Kirchentür der Schlosskirche zu Wittenberg.  Dort nagelte er ein handgeschriebenes lateinisches Dokument mit dem Titel „Disputation zur Erläuterung der Kraft und Wirksamkeit des Ablasses“ an. Die „Disputation“ bestand aus 95 Thesen, welche die Lehre des Ablasshandels für Sünden in Frage stellten. Martin Luther war überzeugt, dass dies eine falsche katholische Theologie war. Da gebildete Bürger der Stadt in jener Zeit der lateinischen Sprache mächtig waren, wurde Luthers Anfechtung gelesen und mit größtem Interesse aufgenommen. Die Gebildeten übersetzten dann den Text den anderen.

 

Bald setzten sich die Räder kirchlicher Disziplin langsam aber unaufhaltsam in Bewegung, um den neuerlichen Herausforderer zu zermalmen. Die Welt jedoch änderte sich. Vor siebzig Jahren hatte Johannes Gutenberg die erste Druckpresse mit beweglichen Lettern gebaut und damit die Epoche der Massenkommunikation begonnen. Die erprobten Methoden des Papsttums beim Verfahren mit Abweichlern erwiesen sich als untauglich. Ausgedruckte Kopien von den 95 Thesen wurden innerhalb von 2 Wochen in ganz Deutschland verbreitet; nach 5 Wochen erreichten sie den Vatikan. Die auftauchende, gebildete Mittelschicht konnte nicht mehr durch Aberglauben und Unwissenheit kontrolliert werden.

 

Die Dinge entwickelten sich so, dass ein Kompromiss mit Rom unmöglich wurde. Das Zeugnis der Schrift, „dass der Gerechte aus dem Glauben leben wird“, sollte auf Luthers Glauben einen immer größeren Einfluss haben. Luther war bemerkenswert für sein moralisch mutiges, deutliches, energisches und standhaftes Eintreten für Prinzipien in Opposition zu Rom. Bei seiner Anhörung in Worms am 17. April 1521 verblüffte er die Zuhörer durch seine Erklärung, welche er am Schluss in Deutsch anstatt in Latein machte:

 

"Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben – so ist mein Gewissen gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!"

 

Adlige, die Titel, Ländereien und Leben riskierten, schützten, versteckten und halfen bald Luther intensiv im Fortschreiten der Sache des „Protestantismus“. Was mit einer unbedeutenden Anzweifelung des Ablasshandels durch einen Professor begann, endete mit Veränderung des Gesichtes von Europa.

 

Die Wiedertäufer

 

Bald floss überall Blut. Krieg, Seuchen und Armut wurden zur Regel des Lebens. Jeder war in Gefahr fürchterlicher Hinrichtungen – Katholiken, Protestanten, Wiedertäufer und oft Juden – welche den Anschauungen der örtlichen Mehrheit nicht entsprachen. Seit dem verhängnisvollen Tag in Wittenberg herrschten in Europa 131 Jahre unverminderte Not. Endlich bestimmte der Westfälische Frieden (1648) die neuzeitlichen Grenzen Europas, indem Katholiken und Protestanten einer unbehaglichen Waffenruhe zustimmten. Der Krieg war zwar zu Ende, aber eine ganze weitere Generation kämpfte innerhalb nationaler Grenzen für die Übereinstimmung mit dem vorherrschenden Glaubensbekenntnis, sei es Protestantisch oder Katholisch.

 

Die Reformation führte zu Kirchenplünderungen und der Verbrennung von Bildern und Reliquien. Kirchenländereien wurden beschlagnahmt. Mönchs- und Nonnenklöster wurden aufgelöst. Viele der ehemaligen Bewohner, die im Zölibat lebten, wie Luther selbst, waren nun verheiratet und gründeten Familien. Luther heiratete eine ehemalige Nonne, was fromme Anhänger des Katholizismus zutiefst kränkte.

 

Obwohl das Innere von protestantischen Kirchen nüchtern wirkte, waren sie lebendiger denn je. Christus wurde nun als der eine Mittler zwischen Gott und Menschen gesehen. Nun war nicht mehr die Messe sondern die Predigt Mittelpunkt des Gottesdienstes. Luther glaubte, dass „der Teufel, der Urheber kummervoller Sorgen und unzähliger Mühen, vor den Klängen von Musik fast genauso wie vor dem Worte Gottes flieht.“ Es war die Gemeinde, die nun einstimmig die modernen und Herz erfrischenden Lieder sang, einschließlich Luthers Choral: „Eine feste Burg ist unser Gott“.

 

Die Druckpressen setzten ihre Arbeiten fort. Bald befanden sich in den Händen einer aufmerksamen und zunehmend gebildeten Bürgerschaft Abhandlungen und Bibeltexte. Wo immer der Protestantismus erschien, zeigten sich Gruppen, die ernsthaft nur aus der Schrift lernen wollten, ohne sich auf die Kirchenautorität zu berufen. Diese bürgerliche religiöse Bewegung wollte die Reformen nicht an der Stelle aufhalten, wo Luther es tat. Wiedertäufer hatten eine weit reichende Lehre, aber drei Punkte charakterisierten sie insbesondere. Sie bewahrten sich vor jeder Verbindung von Staat und Kirche und behaupteten, dies wäre Hurerei. Sie hatten gegen Luther und dem führenden Schweizer Reformator Ulrich Zwingli Einwände über die Richtigkeit der Kindertaufe. Weil sie Erwachsene tauften, wurden sie „Wiedertäufer“ oder „jene die erneut tauften“ genannt. Sie glaubten, dass die Taufe nur für jene sei, die „Jesus Christus annahmen und wünschten, dass er ihr Herr, König und Bräutigam sei, und sich auch öffentlich zu ihm bekennen, sich ihm unterordnen, sich mit ihm durch den Bund der Taufe verloben, sich ihm als tot und gekreuzigt anvertrauen, die jederzeit vollkommen seinen Willen und Wohlgefallen eifrig untergeordnet sind“„Die Ordonnantie Godts“ [Die Anordnung Gottes], Melchior Hofmann (1530).

 

Ein dritter Streitpunkt war Luthers Haltung zur Messe (indem er sich zur Konsubstantiation anstatt der katholischen Transsubstantiation bekannte). Hier legten die Wiedertäufer, Zwingli und andere Reformatoren dar, dass Christus beim letzten Abendmahl das Brot und den Wein als Erinnerung oder Andenken und nicht als Opfer einsetzte. Als Luther sich mit Zwingli traf, um die Messe zu besprechen, ging er an die Tafel und schrieb nur: „Dies ist mein Leib“. In seiner leidenschaftlichen und jähzornigen Art und Weise zerbrach unter dem Druck der Anstrengung die Kreide, die er hielt. Für Luther war die Diskussion beendet.

 

Die Wiedertäufer konzentrierten sich auf das Bibelstudium und auf die Prophezeiung, sie studierten die Stiftshütte und erkannten, dass ihre Anordnungen Christus symbolisierten. Einige Gemeinschaften der Wiedertäufer in Norditalien, Polen und Rumänien verwarfen auch die Lehre, dass Gott dreieinig sein soll. Etwa einhundert Jahre später kommt es zu einer ihrer größten Anerkennungen von einem unerbittlichen Feind, der unmittelbar vor dem Dreißigjährigen Krieg schrieb:

 

„Von allen ketzerischen Sekten die von Luther abstamme … tritt keine besser in Erscheinung und hat größere äußerliche Heiligkeit, als die der Wiedertäufer. Andere Sekten sind größtenteils aufrührerisch, blutdürstig und fleischlichen Begierden verfallen, nicht aber die der Wiedertäufer. Sie nennen sich gegenseitig Bruder und Schwester, sie sind nicht weltlich, benutzen keine gemeine Sprache und Waffen zur Verteidigung … sie haben kein Privateigentum sondern teilen alles. Sie wenden sich für ihre Rechte nicht an Gerichtshöfe sondern ertragen alles geduldig, sie sagen es wäre das Verdienst des Heiligen Geistes. Wer würde vermuten, dass unter dieser Schafskleidung nur reißende Wölfe sind?“„Von der Wiedertauffer verfluchtem Ursprung, gottlosen Lehre und derselben gründliche Widerlegung“, Christoph Fischer, römisch-katholisch (1615).

 

Zeugnis der Quäker und Hugenotten

 

„Trage das Kreuz, und sei Gott treu, dann wird er dir eine ewige Krone der Herrlichkeit geben, welche dir nicht genommen wird. Es gibt keinen anderen beschreitbaren Weg, als den welche heilige Männer von alters her gegangen sind“Thomas Loe, Quäker (1662).

 

Das Predigen von Loe in Oxford bewegte den jungen William Penn, die Kirche Englands öffentlich zu kritisieren, was zur Ausschließung Penns von der Universität in Oxford führte. Penn, der Sohn eines britischen Admirals, ging nach Frankreich und fand bald seinen Weg zur protestantischen Hochschule von Saumur (L’Academie Protestante de Saumur), welche damals ein blühendes Bildungszentrum der protestantischen Hugenotten war. Es mag überraschend sein zu wissen, dass ein solches Zentrum in Frankreich für kurze Zeit aufblühte. Es war eine Folge der liberalen Politik, die im Jahre 1598 durch den protestantisch geborenen und erzogenen Heinrich IV. eingeführt wurde. Heinrich wollte die Gräueltaten seines Vorgängers Karl IX. wiedergutmachen, die er beim Massaker in der Bartholomäusnacht von 1572 verübt hatte. Die Verhältnisse in der Welt veränderten sich, und obwohl immer noch andere Gräueltaten kommen sollten, kam langsam ein neues Bewusstsein auf. Auch wenn die Hugenotten später (1685) aus Frankreich vertrieben wurden, so verloren doch das Herausreißen von ketzerischen Zungen, das Annageln der Häretiker an Karren, das Verbrennen oder Ertränken dieser sowie die Gräueltaten der Massaker, wie in der Bartholomäusnacht, die Gunst als anerkanntes Mittel der Staatsmacht.

 

Die Luft von Saumur wurde mit Diskussionen über die Prophezeiungen von Daniel und der Offenbarung gefüllt. Es hielt sich die allgemeine Anschauung, dass die Gemeinden der Offenbarung aufeinander folgend waren und dass sich die Kirche gegenwärtig in der sechsten Periode, der Philadelphia-Periode befand. Dieser Punkt hat Penn in seinem späteren Leben nicht verloren. Der gelehrte Hugenotte, Pierre de Launay (1573-1661), versuchte mit Hilfe der Formel „ein Tag für ein Jahr“ zu ermitteln, ab wann während der Verwüstungen Roms durch Goten und Vandalen der Beginn der 1260 Tage Daniels zu zählen sei. Der bei weitem wichtigste Gelehrte jener Zeit war jedoch der damals noch junge Pierre Jurieu (1637-1713). Nach der Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich 1686 erweiterte Jurieu die Methode von de Launay und zog entsprechende Schlüsse. Er schrieb, dass ein spezielles Gericht des Herrn über Frankreich – der zehnte Teil der Stadt – in dem Jahrzehnt von 1780-1790, sicherlich aber vor 1796, herfallen würde.

 

Als Penn nach England zurückkehrte, fand er sich unter den Quäkern und wurde bald gefangen genommen, weil er mit den religiösen Gesetzen in Konflikt geriet. Die Vorwürfe wurden ernsthafter und seine Abhandlung „The Sandy Foundation Shaker” [Das Sandige Fundament Erschüttert] brachte ihn schließlich in den Tower von London, wobei ihm von dem Bischof die Gotteslästerung vorgeworfen wurde. Penn kritisierte den trinitarischen Glauben als schriftwidrig und unlogisch: „[denn] ein vernünftiger Mensch kann hier nur drei unterschiedliche Unendlichkeiten sehen“, und „ferner ist es klar, obwohl ich die Dreieinigkeit von getrennten Personen in einer Gottheit verleugne, ich dennoch folgerichtig nicht die Gottheit von Jesus Christus verneine.“

 

Kreuz und Krone

 

In den sieben Monaten, die Penn im Tower verbrachte, schrieb er „Kein Kreuz - Keine Krone“, eine weit verbreitete Abhandlung, welche von jetzt an das Bild von Kreuz und Krone in die Herzen und Gedanken von Gottes Volk verpflanzte. Penns Worte sind einfach, aufrichtig und schriftgemäß: „Was ist unser Kelch, den wir trinken und unser Kreuz, das wir erleiden sollen? Es ist die Selbstverleugnung und Selbstaufopferung, mit dem gleichen Geist, Gottes Willen in seinem Dienst und zu seiner Ehre zu tun oder zu erleiden, welches der wahre Gehorsam des Kreuzes Jesu ist.“

 

Penn prüfte erneut Verheißungen der Schrift, die seit Augustinus übertragen wurden. Die Wichtigkeit der Lebenserfahrungen der Kirche hatten die Theologen mit Augustinus herabgesetzt, indem sie dies sie nur als Erinnerungen sahen, „die sich wie Wolken auflösen“. Penn erkannte, dass diese Lebenserfahrungen, die unter schwierigen Umständen erworben wurden, ein ewiger Nutzen sein würden. So bildete sich langsam das Bewusstsein der Leiden der Kirche mit Christus heraus.

 

Der Tod von Sir William Penn 1670 hinterließ dem jungen Penn die Kontrolle über das Familienvermögen, einschließlich über den massiv geschuldeten Betrag von der Krone an Sir William Penn. Durch diese finanzielle Unterstützung hatte Penn jetzt die nötigen Mittel, um seinen Pilgerdienst fast uneingeschränkt auszuüben. Er reiste durch England, Irland und entlang des Rheins und verkündete die Quäkerlehre. Als er erkannte, dass die Krone nie die wachsenden Schulden an seinen verstorbenen Vater wird zurückzahlen können, legte er sich darauf fest, den König um eine Kolonie in Amerika als Rückzahlung zu bitten. Sein Fokus auf diesem „heiligen Experiment“ der Gründung von Pennsylvania und der Planung sowie der Erbauung der Prinzipienstadt Philadelphia sollte sein Vermächtnis werden, an das man sich am meisten erinnerte. Das Echo von Saumur klang nun in dem Namen von Philadelphia.

 

William Penn erwies sich in der praktischen Politik als ein sehr fähiger Gesetzgeber, Vermittler und praktizierender Pazifist. Sein mutiges unbewaffnetes Herantreten an die indianischen Häuptlinge bei der großen Ulme von Shakamaxon bewegte sie dazu, ihre Bögen und Pfeile niederzulegen. Die Staatsführung von Penn wurde legendär. Lang nach seinem Ableben sprach man immer noch von der tiefen Trauer der Indianer über den Tod ihres lieben Bruders, gegenüber dem sie sich selbst verpflichteten „in Liebe zu leben“. Voltaire, der gewöhnlich nur Verächtliches  über Religion sprach, lobte Penn als den größten Gesetzgeber seit der Antike. Obwohl die kommende Revolution nicht durch friedliche Mittel bewältigt werden konnte, war es Penns Hoffnung, dass Gott seine Kolonie zum „Samen der Nation“ machen würde. So kam es auch.

 

Nachdem die Religionskriege in Europa beendet wurden, zeigte sich das folgende Jahrhundert von einem rasanten Wachstum in jeder Richtung menschlichen Wissens gekennzeichnet.  Es begann die moderne Medizin und Wissenschaft. Es war bekannt, dass sich die Erde um die Sonne dreht, die Laufbahn des Mondes wurde erklärt, das Licht wurde verstanden und mechanische Maschinen wurden entwickelt, um die Muskelkraft von Zugtieren zu ersetzen. Mathematische Probleme, die Jahrtausende lang ungelöst waren, wurden nun gelöst. Neue Musikformen eröffneten dem menschlichen Geist unerschlossene Bereiche an Erfahrungen. Das soziale Wohlergehen der einfachen Menschen stand im Mittelpunkt des Interesses neuer Wissenschaftszweige, die darauf ausgerichtet waren, die Theorie der Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaft zu verstehen. All dies ernährte die Gedanken derer, die an eine Revolution der sozialen und politischen Verhältnisse dachten. Die Religion wurde davon entscheidend beeinflusst. Hinsichtlich der jüngsten Vergangenheit schaute die Elite mit Argwohn auf alles Religiöse. Agnostizismus, Deismus und Unitarismus wurden zu den bevorzugten Ausdrucksformen der Geistigkeit der gesellschaftlichen Elite.

 

Frankreich und Philadelphia 1776 bis 1799

 

Während Frankreich der Brennpunkt vieler dieser Bestrebungen war, waren es Flugschriften, die in englischer Sprache und in Übersee verbreitet wurden, welche die Glut der Revolution in den amerikanischen Kolonien anfachen sollten. Nach der Unabhängigkeitserklärung von Philadelphia am 4. Juli 1776 trennten sich die amerikanischen Kolonien nach fünf Jahren Kampf erfolgreich von England. An diesem Beispiel festhaltend kam die Revolution nach Frankreich heim. Die einfachen Bürger folgten den Rufen „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“, was zu einer außerordentlichen blutigen Revolution führte und den Monarchen überall zu verstehen gab, dass ihre Tage gezählt seien. Die französische Revolution führte auch zum Aufstieg Napoleons.

 

Napoleon markiert eine entscheidende Wende in der Weltgeschichte, seinesgleichen gab es weder vor noch nach ihm. Wie Alexander der Große hatte auch Napoleon nicht nur eine Vision für die Eroberung, sondern auch für die Neugestaltung der Kultur von Europa. Die Zusammenarbeit des Papstes mit den Verbündeten gegen die französische Republik und die Ermordung des französischen Gesandten Basseville in Rom, führte zu Napoleons Angriff auf die päpstlichen Staaten, der mit dem Waffenstillstand von Bologna (25. Juni 1796) beendet wurde. Bei dem Versuch, Rom zu revolutionieren wurde der französische General Duphot niedergeschossen und ermordet. Darauf hin nahmen die Franzosen am 10. Februar 1798 Rom ein und am 15. Februar die Römische Republik proklamierten. Da sich der Papst weigerte unterzuordnen, wurde er in der Nacht des 20. Februar gewaltsam aus Rom entführt und zunächst nach Siena und später nach Florenz gebracht. Obwohl er ernsthaft krank war, wurde er Ende März 1799 eilig nach Parma, Piacenza, Turin, dann über die Alpen nach Briancon und Grenoble, und schließlich nach Valence gebracht, wo er seinem Leiden erlag, um schließlich von dort geholt zu werden.

 

Indem Napoleon mit Pius VII., der als Nachfolger von Pius VI. im März 1800 als Papst gewählt und gekrönt wurde, ein Konkordat einging, zwang er ihm seine prägnanten Bedingungen auf. Die Verweigerung der völligen Einwilligung von Pius VII. führte zu 14 Jahren Hausarrest und zu seiner Entfernung aus Italien nach Fontainebleau. Obwohl nach dem Fall von Napoleon im Jahre 1814 Pius triumphal nach Rom zurückkehrte, ging das Papsttum für den Rest des Jahrhunderts unaufhörlichem Verlust von Ansehen, Macht und Besitztum entgegen.

 

Keines dieser epocheprägenden Ereignisse wurde durch den in Yale ausgebildeten Theologen J. Lathrop (1731-1820) übersehen. Lathrop lenkte besonders viel Aufmerksamkeit auf die prophetischen Studien von Jurieu, der die französische Revolution bereits vor ungefähr hundert Jahre vorausgesagt hatte. Lathrops Arbeit erkannte die wichtige Bedeutung von biblischer Chronologie. Bald danach brachten zusätzlich William Miller (1782-1849) und andere lang verborgene Perlen ans Tageslicht. 

 

Religionsfreiheit

 

Einzig die Besonnenheit von US Präsident John Adams verhinderte zeitgleich den Krieg im Jahr 1799, was für die junge Republik einen Kampf gegen Napoleon bedeutet hätte. Vom ersten Regierungssitz, dem Amtssitz Adams in Philadelphia, war es möglich, auf die Straßen zu schauen und die großen Veränderungen mit zu erleben, die durch die Realisierung religiöser Visionen hervorgerufen wurden. Er wusste, dass religiöser Einfluss für Gutes oder Schlechtes gebraucht werden konnte. Er war der Überzeugung, dass der Einfluss eben für Schlechtes gebraucht wurde und deswegen unterstützte er kräftig die Trennung von Kirche und Staat. Dabei spielte Adams eine entscheidende Rolle. Sobald die Verfassung der neuen Nation ratifiziert wurde, kritisierte er sie sofort als unvollständig, weil der Schutz der Menschenrechte nicht aufgenommen wurde. Jefferson und Madison waren darin einig, die „Bill of Rights“ (Zusatzartikel zur Verfassung) zu entwerfen, um dieses Versehen zu korrigieren. Die Anfangsformulierung der ersten der zehn Änderungen zur Verfassung, die am 15. Dezember 1791 abschließend ratifiziert wurden, markiert ein Wendepunkt in Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Zum ersten Mal in der Geschichte einer Nation wurde die Religionsfreiheit zur offiziellen Staatspolitik: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einrichtung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie Ausübung beschränkt.“

 

Dies geschah fast 265 Jahre nach Felix Manz (auch Mantz), den ersten Märtyrer der Wiedertäufer, der in der „dritten Taufe“ im eiskalten Wasser des Flusses Limmat bei Wellenberg in der Schweiz starb. Letztendlich wurde das Flehen der Wiedertäufer für die Trennung von Kirche und Staat Gesetz. Mit dem Anbruch des 19. Jahrhunderts betrat eine Kultur mit solchen religiösen, sozialen und wissenschaftlichen Weltanschauungen die Weltbühne in Europa und Nordamerika, die noch Luther für unmöglich hielt. Hier erfüllt sich Christi Verheißung für die Kirche in Philadelphia: „Ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand schließen kann“ (Offb. 3:8). Der ökonomische Umbruch des nächsten Jahrhunderts durch eine Bewegung, die bald „industrielle Revolution“ genannt wurde, und der wissenschaftliche Fortschritt sollten der Christenheit einerseits zu ihrer größten Probe werden aber andererseit ihr auch die größten Erfolge bescheren.

 

Quelle: The Herald, 2004, S. 4-7


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